Rückblick

Igor Levit – No Fear

Igor Levit „will nicht der Mann sein, der die Tasten drückt“.
Die Verbindung von Körper-Instrument-Musik war der Leitfaden der Regisseurin Regina Schilling, die den Pianisten Levit in einer Art Kammerspiel porträtiert. Sie nimmt sich dabei die Zeit, Igor Levits Musik zuzusehen und zuzuhören. Fasziniert von dessen Körpereinsatz im Spiel, der sich u.a. in der 10minütigen hochkonzentrierten Interpretation der Waldstein-Sonate dem Hörer als Musikarbeit, die sich im Kopf abspielt, vermittelt.
„No fear“: nur wenn Levit spielt, sei er ganz bei sich und absolut furchtlos, die Einspielung der Waldstein-Sonate wie ein Drogenrausch; er liebt es, sich die schwierigsten Stücke zu eigen zu machen, so Stevensons ‚Passacaglia in DSCH‘, ein 80minütiger kräftezehrender Marathon, eine Totalverausgabung.
Als Glücksfall und größtes Geschenk bezeichnet Schilling die Zusammenarbeit mit dem Tonmeister Andreas Neumeister, der mit außerordentlicher musikalischer Sensibilität und einem hohen Maß an Empathie sowohl musikalisch als auch persönlich mit Levit umzugehen weiß. Schilling spricht von einer kongenialen musikalischen Liebesbeziehung, die sich in zwei beeindruckenden Filmszenen zur gemeinsamen Arbeit im Studio vermittelt.
Wie funktioniert ästhetisches Erleben? Warum gefällt uns etwas oder auch nicht? Was sind die Kriterien? So die Fragen von Carola Benninghoven, die moderierend durch das Gespräch führt.
Für Frau Dr. Melanie Wald-Fuhrmann, Professorin am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik mit Forschungsschwerpunkt Musikästhetik, sind ästhetische Erlebnisse sehr individuell; sie sind etwas sehr Intimes; sie unterliegen keinen klaren Kriterien, sind nicht quantifizierbar, auch wenn es empirische Methoden gibt, das subjektive Wahrnehmen zu erforschen, allerdings auf eher physiologischer Ebene durch Messung von Hirnströmen, Atmung, Gesichtsmuskulatur etc., dies jedoch immer verbunden mit Interviews. Ästhetiken gäbe es nur im Plural. Jeder von uns trägt gewissermaßen seine eigene, durch Sozialisation erworbene individuelle Ästhetik mit sich herum, mit der wir die Musik, die wir hören, abgleichen
Spannend sei die Frage, wie es zu einer physiologischen Synchronisierung kommt, die ja erst ein intensives musikalisches Gemeinschaftserleben bewirken kann. So etwas könne jeder erleben, sei aber nicht objektivierbar.
Und wie, so die Frage von Benninghoven, lassen sich dann verschiedene Interpreten bewerten? Warum finden wir Levit gut? Wie unterscheiden sich die Pianisten? Virtuos, so Wald-Fuhrmann, müssen alle sein. Es ist die Art der Interpretation (schnell, dynamisch, laut, leise). Glenn Gould z.B. hat Bach sehr mathematisch-präzise gespielt. Aber auch Körperliches kann eine große Rolle in der Musikrezeption spielen; bei Bach wollen wir nicht, dass der Körper dabei ist; es gibt kopfstarke Musik und solche, die sich fast körperlich überträgt. Wir hören mit den Augen, wir nehmen die Persönlichkeit des Musikers wahr und auch dies prägt unsere Einstellung zur Musik.
Dies bestätigt Regina Schilling, für die Musik wie ein Schauspiel ist, man muss sie live sehen und hören (insbesondere Neue Musik).
Ist sie dem Pianisten Levit näher gekommen? Hat sie ihn verstanden? Seinem „Geheimnis“ sei, so Schilling, sie nicht wirklich nahe gekommen. Levit sei ein Mensch, der wie in einer Box sitzt, über Zwänge klagt, sich verletzlich zeigt, aber auch eine große Souveränität zeigt; alle Szenen des Films hat er akzeptiert. Er sei ein Mensch, der sich häutet und immer wieder neu erfindet.
Zum Schluss eine Message von Wald-Fuhrmann an das Publikum: es habe eine Bringschuld an den Musiker, sich selbst in eine offene Haltung zu bringen; dies trage zu einem guten Konzerterleben bei.

(mk)

Bild: Die Regisseurin Regina Schilling im Gespräch mit der Moderatorin Carola Benninghoven und Prof. Melanie Wald-Fuhrmann

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